Montag, 23. Januar 2017

Alternative Fakten - eine kurze Betrachtung

Das Wort „Euphemismus“ bedeutet etwas beschönigen oder schönreden. Es stellt also einen negativen oder tabuisierten Sachverhalt verschleiernd oder auch gewollt missverständlich dar.

Euphemismen begegnen uns seit jeher in Texten aller Art. Schon in der Bibel finden wir sie, beispielsweise in der Weihnachtsgeschichte: „Josef nahm seine Frau zu sich, und er erkannte sie nicht, bis sie einen Sohn geboren hatte, und er nannte seinen Namen Jesus.(Matthäus 1, 24+25) 

Armer Josef, könnte man denken. Er muss geistig verwirrt gewesen sein. Demenz?! Er erkannte seine Frau nicht mehr. Zum Glück scheint sich sein Zustand verbessert zu haben nach der Niederkunft (auch so ein schönes Wort) seiner Frau. Postnatale Wiederherstellung des Gedächtnisses beim Mann.

Aber natürlich wissen wir, dass das Wort „erkennen“ in diesem Text eben nichts mit dem zu tun hat, was es gemeinhin bedeutet. Hier ist das Wort euphemistisch gebraucht, um nicht schreiben zu müssen, er hatte keinen Sex mit seiner Frau.

Wenn wir von einem Fussballspieler lesen, er habe ein rustikales Zweikampfverhalten, so wissen wir, dass er halt auch mal zu einem Foul greift, um den Gegner vom Ball zu trennen.

Spricht der Arzt von Stuhlgang, weiss wohl jeder, was gemeint ist. Ist doch auch netter, als wenn einen so ein Weisskittel fragt, ob man heute schon gesch… habe. Oder er uns mit dem Kindereuphemismus „a-a“ kommt.

Manchmal haben sich Euphemismen so ausgebreitet, dass sie niemandem mehr auffallen. Dass es wohl in jeder Regierung einen Verteidigungsminister gibt, versteht sich von selbst. Dass das gleiche Amt in nicht so ferner Vergangenheit Kriegsminister hiess, haben wir meist schon vergessen.

Damit verbunden wurde der Kriegsfall zum Verteidigungsfall, eine Offensive wird auch gerne Militärschlag genannt. Dass sich hinter einer ethnischen Säuberung ein Völkermord verbergen könnte, wird ganz schnell ausgeblendet. Und auch Kernwaffen klingen doch etwas harmloser als Atombomben. Und weil auch das Wort Kernwaffen schon zu viel von seinem verhüllenden Charakter verloren hat, taucht immer häufiger der neue Euphemismus auf: „Modernste Waffen“.

Apropos Krieg: Als Oliver Stone 1986 den Film „Platoon“ ins Kino brachte, hat er den Film als „Antikriegsfilm“ bezeichnet. Der Begriff traf den Nerv der Zeit, von einem Tag auf den anderen wurde die Genrebezeichnung „Antikriegsfilm“ in vielen Programmzeitschriften eingeführt, ganz gleich, ob „Rambo“, „Apocalypse now“ oder „Der längste Tag“ gezeigt wurde.

Dass einen der Chef von der Arbeit freisetzt sollte kein Anlass zum Jubel sein, denn dahinter verbirgt sich eine Entlassung. Vielleicht wird diese Entlassung mit einem Minuswachstum begründet. Man könnte es natürlich auch einfach Rezession nennen.

Natürlich werden auch Eigenschaften von Menschen in beschönigende Worte gepackt. Hat einer eine Rubensfigur, so ist er dick, gilt jemand als bildungsfern, hält man ihn für dumm. Und weil man halt manchmal nicht von Armen sprechen will, bezeichnet man die entsprechende Gruppe einfach als wirtschaftlich schwach.

Ein Euphemismus wird manchmal über Nacht geboren. So beglückte die PR-Beraterin von DJ Trump,  Kellyanne Conway, uns am Wochenende mit einer besonderen Wortschöpfung: „alternative Fakten“. 

Endlich sind Fakten nicht mehr an Wahrheiten gebunden! 

Früher musste man für die gleiche Aussage das unschöne und deshalb zu vermeidende Wort „Lügen“ gebrauchen.

Da ich mit einer Geschichte aus der Bibel begonnen habe liegt die Versuchung nahe, mal zu schauen, was aus ein paar ausgewählten Versen passieren könnte, wenn der neu entstandene Euphemismus in einigen Jahren in eine revidierte Bibelübersetzung Einzug hält:

Psalm 4;3: Wie lange werdet ihr Eitles lieben und alternative Fakten suchen?
Eph. 4;25: Deshalb legt die alternativen Fakten ab und redet Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten.


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