Mittwoch, 21. Dezember 2016

Liveticker?

Ich bin erklärtermassen ein News Junkie. Wenigstens ein Browserfenster meines Computers ist immer auf einer Nachrichtenseite aufgeschlagen, und mehrmals täglich, wenn ich mal kurz am Schreibtisch vorbeikomme, aktualisiere ich das Fenster und überfliege die Nachrichten.

Wenn, wie ganz aktuell, mit dem Attentat auf den Weihnachtsmarkt in Berlin ein Ereignis vorliegt, das unbestritten alle betroffen macht, findet man in Kürze auch einen Liveticker, der uns über die neuesten Entwicklungen auf dem Laufenden hält. So weit, so gut.

Wobei… Wenn ich dann die Informationen überfliege, die sich im Verlauf der letzten 36 Stunden in besagtem Liveticker angesammelt haben, bin ich mir nicht mehr so sicher, wie gut das ganze ist.

Ja, ich bin interessiert zu erfahren, was es an Neuigkeiten gibt. Aber oftmals gibt es nach der ersten Berichterstattung eines Vorkommnisses längere Zeit keine nennenswerten Entwicklungen mehr. Doch der Liveticker ist bereits installiert, und er will gefüttert werden. Ein Liveticker, in dem nichts Neues zu lesen ist, hat keinen Wert, also muss einfach wenigstens einmal pro Stunde, wenn es geht auch etwas häufiger, ein neuer Post rausgehauen werden.

Wo anfangs sachlich (wenn auch mitunter übereilt) berichtet wird, finden bald alle möglichen Spekulationen Platz. „Spur führt zu….“ Ist dann da zu lesen, oder „Der mutmassliche  Täter soll schon früher xy gemacht haben“. Wir erfahren, dass ein neuer Verdächtiger verhört wird und lesen wenig später, dass offenbar nichts gegen ihn vorliegt.  Zwischendurch die eine oder andere Stellungnahme eines Politikers, gefolgt von der Stellungnahme eines Konkurrenten im politischen Geschäft, dann wieder eine kurze Information, welchen Ansatz zur Ergreifung des Täters die Polizei als nächstes plant. Es sind kleine Brocken Information, die einem nicht wirklich Wichtiges mitteilen, aber das Gefühl geben, mit dabei zu sein. Und die, so mein Verdacht, schnell mal die Stammtischgespräche befeuern.


Ich habe mir angewöhnt, den Liveticker zu ignorieren. Stattdessen warte ich, bis sich eine Nachricht so stark verfestigt hat, dass sie im üblichen Nachrichtenteil der Onlinemedien erscheint – in der Regel nicht mehr nur als Dreizeiler, der im Konjunktiv verfasst ist.  

Sonntag, 18. Dezember 2016

SCHOCK! Tierschänder und vergiftete CDs!

Seit ich bei Facebook bin habe ich nun endlich auch vermehrt Anschluss an die Schreckensmeldungen des Alltags. Die Kampagnen aus dem amerikanischen Wahlkampf verebben langsam, wobei die Nachlaufzeit der Meldungen in den sozialen Medien schon bemerkenswert ist. Aber von Aufatmen kann keine Rede sein.

Um mal zwei brandaktuelle, schockierende Nachrichten aufzugreifen, die mich diese Woche erreicht haben: Da gibt es zum ersten die Geschichte eines Tierquälers, der einen Hund erschossen hat und anschliessend mit dem toten Tier posiert, zum zweiten die eindringliche Warnung, dass Muslime CDs mit Korantexten und islamischer Musik in Briefkästen verteilen, wobei die Sendung vergiftet sein soll.

Manchmal frage ich mich, warum sich Facebook mit c schreibt.

Schockierende Berichte, in denen Tiere vorkommen, verbreiten sich besonders gut. Die Empörung ist vorprogrammiert, die Weiterverteilung sicher. Wer prüft da schon, was es mit der Sache wirklich auf sich hat?

Zugegeben, das Beispiel mit dem getöteten Hund lässt sich nicht so schnell und unzweifelhaft aufklären wie manche andere Geschichte. Es gibt im angehängten Text keine Quelle, der einzige dort auffindbare Link führt auf eine 404-error Seite. Gibt man aber die wenigen in der Nachricht gebotenen Details (Ort, wo der Vorfall stattgefunden haben soll, das Stichwort „getöteter Hund“ oder wahlweise auch „killed dog“ in eine Suchmaschine ein, stösst man auf weitere Infos.

Weitere Infos? Nun ja, eigentlich nicht. Man stösst auf 2 weitere Seiten, diesmal in englischer Sprache, die die gleiche Geschichte erzählen. Das Erscheinungsbild der Seiten verrät schon mal, dass man es eher mit einem Boulevardblatt zu tun hat, und ein paar Klicks später bestätigt sich dieser erste Eindruck. Auch hier keine Angaben von Quellen. Aber, interessant: Der Artikel erschien dort 11 Monate früher.

Noch mal der Check auf der deutschsprachigen Seite, die in meinem Facebook Feed aufgetaucht ist. Nein, hier ist nicht ersichtlich, dass es sich um eine alte Geschichte handeln soll. Stattdessen erhält man die Möglichkeit, eine Petition zu unterschreiben.

Solange ich nicht weiss, ob eine Geschichte stimmt, unterzeichne ich schon mal gar nichts!

Die zweite Geschichte, die mit den vergifteten CDs, ist ein Paradebeispiel für Panikmache. Im Moment sind es, tragischerweise, verstärkt „die Fremden“, denen alle Schandtaten zugetraut werden.
Erschreckend ist eigentlich, wie leichtfertig solche Inhalte geteilt werden. Man traut den Ausländern, den Flüchtlingen oder den Andersgläubigen einfach alles zu. Und eine Aufklärung wäre so simpel: Einfach mal 2, 3 Stichworte bei Google eingeben, also im vorliegenden Fall „vergiftete CD“, und man stösst auf dutzenderweise Seiten, die diese vermeintliche Nachricht als Lüge entlarven.

Viele Menschen trauen den grossen Medien nicht mehr und verlassen sich lieber auf das, was ihnen von Freunden erzählt wird. Nun ist das ja nichts Neues. Wer kennt nicht die Geschichte von der Spinne in der Yuccapalme, die man von einem Freund gehört hat, der denjenigen kennt, bei dem ein Sonderkommando der Schädlingsbekämpfung eingefallen ist…

Man nennt solche Geschichten moderne Sagen oder auch Hoax. Ja, ich weiss, ein Hoax unterscheidet sich von einer modernen Sage, aber ich ziehe die Begriffe hier der Einfachheit halber zusammen.
Diese Geschichten geistern wohl schon so lange rum, seit Menschen sich Geschichten erzählen, sie sind also keine Erfindung des Internetzeitalters. Was sich aber verändert hat, ist die Geschwindigkeit, mit der sich diese Sagen verbreiten können – und damit im Extremfall auch die Geschwindigkeit, mit der Lügen ganze Volksgruppen diffamieren, ausgrenzen und zum Feindbild machen können. Dabei bringt das Internet zusammen mit dem Problem auch die Lösung: Quellen zu recherchieren ist oft sehr einfach, 

Lügen lassen sich schnell entlarven und stoppen – wenn man es denn will.


Mittwoch, 7. Dezember 2016

Ein Sultan im Vatikan

Es klingt fast ein bisschen wie die konsequente Weiterführung der momentan beliebten populistischen Schreckensfantasien, wonach Europa islamisch unterwandert wird, doch es handelt sich hier nicht um Fiktion oder Satire, sondern um eine kleine, aber bemerkenswerte Episode der europäischen Geschichte.

Cem war der dritte und jüngste Sohn von Mehmed II. Der Vater hatte bekanntermassen am 29. Mai 1453 Konstantinopel erobert und damit das Byzantinische Reich beendet.

Als Mehmed im Jahre 1481 starb, entbrannte zwischen seinen Söhnen Bayezid und Cem ein Kampf um die Thronfolge. Cem hatte vom Tod seines Vaters erst erfahren, als dieser schon beigesetzt war, und als er schliesslich aus Konya im Zentrum Anatoliens nach Istanbul gelangte, hatte sich dort sein Bruder schon das Schwert des Dynastiegründers und Vorfahren Osman I. umgegürtet, was einer Krönung gleichkam.

Cem sammelte Getreue um sich und eroberte die ehemalige Hauptstadt Bursa, etwa 90 km südlich von Istanbul gelegen. In der Moschee der Stadt wurde er am 2. Juni 1481 zum Sultan ausgerufen, und er begann auch sofort, Silbermünzen mit der Prägung „Sultan Cem“ herzustellen. Sein Plan war wohl, sich mit seinem Bruder auf eine Reichsteilung zu einigen. Bayezid sollte von Istanbul aus die europäischen Provinzen beherrschen, Cem seinerseits Sultan über Anatolien sein.

Für den älteren Bruder kam eine Reichsteilung nicht in Frage. Er sammelte seinerseits Truppen und besiegte Cem am 22. Juli 1481 bei  Yenişehir etwa 50 km östlich von Bursa.

Für Cem begann eine wohl recht abenteuerliche Flucht, die ihn über Anatolien und Palästina nach Kairo führte. Dort fand er beim mamlukischen Sultan, dem mächtigsten Gegenspieler der Osmanen, Aufnahme und in der Folge auch Unterstützung, um in einem neuen Anlauf den Thron erneut zu erkämpfen.

Im März 1482 zog Cem, unterstützt von alten Getreuen, aber auch einigen Überläufern aus den Reihen Bayezids und einer kleineren Unterstützungstruppe der Mamluken, erneut nach Anatolien. Doch der ältere Bruder, der wohl durch Spionage recht gut über die Schritte Cems informiert war, besiegte ihn sehr schnell zum zweiten Mal.

Die nun folgende Flucht führte Cem zunächst nach Rhodos, das damals noch dem Johanniterorden unterstand. Der Grossmeister des Ordens, Pierre D’Aubusson, gewährte ihm Asyl, liess ihn aber bald nach Frankreich bringen, wo er in verschiedenen Burgen gefangen gehalten wurde. Der Osmane wurde als kostbares Gut für finanzielle und diplomatische Berechnungen gehalten. D’Aubusson akzeptierte eine jährliche Zahlung von 35’000 Golddukaten (nach anderen Quellen 45’000 Golddukaten) aus der Hand des Sultans Bayezid II mit der Auflage, ihn daran zu hindern, unter den europäischen Mächten nach Verbündeten für einen weitern Angriff auf den osmanischen Thron zu suchen. Ausserdem wurde der Herrscher am Bosporus erpresst, mit Europa dauerhaften Frieden zu halten, da ansonsten Cem als Anführer eines „Kreuzzuges“ gegen den Bruder aufgebaut würde.
Die Herrscher Europas verhandelten untereinander über das Recht, den Gefangenen zu behalten, da sie alle versuchten, die türkischen Gelder auf ihre Seite zu ziehen. Auch Papst Innozenz VIII spielte in den Ränken eifrig mit, und schliesslich konnte er die Geisel nach Rom bringen. Zukünftig erhielt er die Dukaten aus Istanbul. Als Gegenleistung an D’Aubusson wurde diesem die Kardinalswürde verliehen.

Den feierlichen Einzug Cems in Rom beschreibt der deutsche Historiker Ferdinand Gregorovius. Der Sohn des Eroberers von Konstantinopel ritt, umgeben von einigen Moslems, die ihn in sein Exil begleitet hatten, dem Oberpriester der Christenheit entgegen. Zahllose Menschenscharen säumten seinen Weg, und viele Edle zu Pferde grüssten ihn, doch Cem würdigte sie keines Blickes.

Am folgenden Tag wurde er vom Papst empfangen. Cem wurde hier wie ein christlicher Fürst behandelt, doch der Exilant vergass keinen Augenblick, dass er ein Bekenner des Propheten und der Sohn von Mehmed II war. Er verachtete die Anordnung des Zeremonienmeisters, sich vor dem Papst niederzuwerfen; stattdessen schritt er ruhig auf den Stellvertreter Christi zu und hauchte ihm flüchtig einen Kuss auf die Schulter.

Cem lebte in der Folge in, wie Gregorovius anmerkt, öden Gemächern, bewacht von einigen Ordensleuten aus Rhodos und stets in Furcht vor Auslieferung oder Gift. Zuweilen begab er sich auf die Jagd, vertrieb sich die Zeit mit Musik und Gastmählern.

Bayezid II indessen setzte alles daran, seinen Bruder endgültig zu beseitigen. Hatte er zunächst um eine Auslieferung verhandelt – in einer ersten Etappe des Exils bot er dem französischen König vertraglich Jerusalem an, dessen Eroberung er gerade betrieb – suchte er mittlerweile auch nach willfährigen Dienern, die einen schnellen Tod des Rivalen herbeiführen könnten.

Eine Begebenheit bedarf noch der besonderen Erwähnung. Ende 1490 traf eine türkische Delegation in Rom ein, die dem Papst 120’000 Dukaten für die Beherbung Cems, viele wertvolle Geschenke und das Versprechen eines ewigen Friedens brachten. Ein Minister dieser Delegation verlangte den Prinzen zu sehen und wurde von diesem wie von einem regierenden Sultan, sitzend auf dem Thron, empfangen. Er erhielt einen Brief von seinem Bruder, der aber erst entgegengenommen wurde, nachdem ihn der Minister innen und aussen abgeleckt hatte – wohl um die Befürchtung, es könnte Gift in irgendeiner Form im Spiel sein, zu zerstreuen. Die türkischen Gäste wurden in der Folge durch Cem im Palast der Päpste mit einem grosse Gastmahl bewirtet, was bei vielen Römern für Unmut sorgte, hielten da doch der Papst und ein Sultan gemeinsam Hof.

Papst Innozenz VIII starb am 25. Juli 1492, sein Nachfolger wurde Rodrigo Borgia als Alexander VI. Dieser neue Papst, bekanntermassen Geldgeschäften jeglicher Art kaum weniger zugetan als sein Vorgänger, soll schon bald nach der Übernahme des Pontifikats von Bayezid II aus Istanbul ein neuerliches Angebot zur Ermodung Cems erhalten haben.

Indes hatte der Papst bald andere Probleme: Der französische König Karl VIII zog nach Italien, eroberte Florenz und marschierte schliesslich in Rom ein. Ziel des Kriegzuges war Neapel, auf dessen Thron der französische König Anspruch erhob. Im Rahmen der diplomatischen Bemühungen des Papstes, seine eigenen politischen Pläne zu retten, überliess er schliesslich die türkische Geisel dem französischen König. Cem und seinen Nachfahren wurde ein neapolitanischer Fürstentitel verliehen, das Haus von Said, welches noch bis ca. 1600 Bestand hatte.

Karl VIII nahm Cem mit sich auf seinem Weg nach Neapel. Die Stadt wurde am 22. Februar 1495 eingenommen und Karl als König Neapels eingesetzt. Drei Tage später traf Cem in Neapel ein. Er war schon auf der Reise erkrankt und starb am 25. Februar 1495 in Neapel. Sofort gab es Gerüchte, man habe ihm auf Befehl des Papstes Gift in Form eines weissen Pulvers gegeben.

Für den französischen König, der dem Plan nachhing, einen neuerlichen Kreuzzug nach Kleinasien zu unternehmen und bei dieser Gelegenheit Cem als Verbündeten anstelle seines Bruders auf den Thron im Osmanischen Reich zu bringen, war der Tod ein schwerer Schlag. Die Rückeroberung des Bosporusses und Wiederauferstehung Byzanz’ konnte nicht stattfinden.


Und nur 34 Jahre nach dem Tod Cems stand der Enkel seines Bruders, Süleiman der Prächtige, vor den Toren Wiens.