Montag, 28. November 2016

Die angebliche jüdische Kriegserklärung (1933)

Die Stimmen, die geschichtsrevisionistische Ansichten und Deutungen vortragen, scheinen sich in jüngster Zeit zu mehren und stossen in einer Gesellschaft, in der Schlagworte wie „Mainstreammedien“ oder gar „Lügenpresse“ weite Verbreitung finden, auf grosse Resonanz. Per Definition geht es der Geschichtsrevision darum, das gültige und durch die wissenschaftliche Forschung fundierte Geschichtsbild zu hinterfragen, es zu erschüttern und, wenn möglich, dadurch die Deutungshoheit über Vorgänge in der Vergangenheit zu gewinnen. Selbst wenn diese letztendliche Umdeutung der Geschichte kaum je vollumfänglich erreicht werden kann, so kann man doch feststellen, dass ganz egal, wie absurd eine abweichende Ansicht auch sein mag, sie doch bei einzelnen zu verfangen mag. Irgend etwas bleibt halt immer hängen…

Dabei kommen kaum neue Argumente zur Anwendung. Geschichtsrevisionisten bedienen sich immer wieder gerne bei – in aller Regel längst widerlegten – Behauptungen früherer Gesinnungsgenossen.

Es muss wohl nicht speziell erwähnt werden, welche Gruppen diese Gedanken immer und immer wieder gerne ausgraben, und auch nicht, dass sie in einer zunehmend populistischeren Öffentlichkeit gerne gehört werden.

Ganz speziell die Naziherrschaft in Deutschland ist ein sehr ergiebiges Feld für revisionistische Theorien aller Art. Dabei geht es nicht nur um das absolute  Extrem, die Leugnung des Holocausts, sondern auch um vielerlei andere Ansichten, die aber, bei konsequenter Weiterverfolgung, oft in genau dieser Extremposition gipfeln.

Der Weg Deutschlands in den Krieg ist zum Beispiel ein sehr beliebtes Thema dieser Gruppen. Es wird dabei behauptet, Hitler hätte eigentlich den Frieden gewollt, wurde aber von seinen Nachbarn (oder, je nach Betonung und Zielgruppe, von der Wall Street, vom „Weltjudentum“, von der britischen Wirtschaft, vom Bolschewismus etc.) in den Krieg gedrängt.

Eine solche Behauptung, die gerade wieder neu aufgetischt wird, ist die angebliche jüdische Kriegserklärung an Deutschland aus dem Jahre 1933. 

Am 24. März 1933 brachte die britische Boulevardzeitung „Daily Express“ einen Artikel mit dem irreführenden Titel „Judea declares war on Germany“ („Judäa erklärt Deutschland den Krieg“). Im genannten Artikel wurde von einem Boykottaufruf jüdischer Geschäftsleute gegen deutsche Waren und Produkte berichtet. Der reisserische Titel stand im Gegensatz zum Text im Artikel darunter. Darin wurde zwar von Boykottaufrufen, die eine Reaktion auf die mittelalterliche Hetze gegen Juden in Deutschland waren,  berichtet, es wurde aber auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass erst in einer Sondersitzung am darauffolgenden Sonntag von seiten der britischen Juden auf diese Boykottaufrufe eingegangen würde. In dieser Sitzung am 27. März 1933 wurden diese schliesslich abgelehnt.

Der Text in der Zeitung war also keine Kriegserklärung, er war noch nicht einmal der Bericht über eine Kriegserklärung.

Man kann sich auch die Frage stellen, wie diese angebliche Kriegserklärung von den Machthabern im 3. Reich betrachtet wurde.

Zunächst ist festzuhalten, dass eine Kriegserklärung von einem Staatsorgan ausgesprochen wird, der über die zum Kriege notwendigen Bevollmächtigung und auch über die entsprechenden Mittel verfügt. Beides trifft im vorliegenden Fall nicht zu. Es gab zu der Zeit keine jüdische Regierung und keinen jüdischen Staat.

In der Propaganda des 3. Reiches, in der dieser „Daily Express“ – Artikel durchaus auftaucht, wird lediglich von „Greuelpropaganda“ oder „Antideutscher Hetze“ gesprochen. Das Regime im Deutschen Reich hat keine Vorbereitungen für einen bevorstehenden Kriefgsfall getroffen, was ja auch gänzlich lächerlich gewesen wäre.

Die nationalsozialistische Propaganda hat sich auf diesen Artikel bezogen, als sie zum 1. April 1933 ihrerseits zum „Judenboykott“ aufgerufen hat. Dieser Bezug ist wohl nur vorgeschoben; der Boykottaufruf der NSDAP war keine Abwehrmassnahme und keine Reaktion auf eine britische Schlagzeile, sondern nur ein weiterer Schritt zur Diskriminierung deutscher Juden. Diese hatten übrigens schon in den 20er Jahren mit der Erstarkung der nationalsozialisten Bewegung angefangen und lässt sich aus dem im Jahre 1920 veröffentlichten 25-Punkte-Programm der NSDAP herleiten.


Übrigens wurde der deutsche Boykott jüdischer Geschäfte am 4. April offiziell für beendet erklärt, nachdem er schon am Abend des 1. April wegen der Passivität der Deutschen eingestellt wurde. 

Donnerstag, 24. November 2016

Statisten

Bei meiner täglichen Lektüre des "Hollywood Reporters" wurde ich darüber informiert, dass Peter Sumner gestorben ist. Des weiteren erfuhr ich, dass er ein Statist im ersten Star Wars Film von 1977 war. Offenbar gab es Fans, die ihn für die 2 Sätze, die er in diesem Film sprach, ehe er von Chewbacca getötet wurde, ein Leben lang verehrten.

Was mich wieder mal nachdenken liess über die Nebenrollen und ihre Darsteller. Oder gar über die Statisten, die kaum Erwähnung finden, aber Filmgeschichte geschrieben haben.

Oft sind es die kleinen Szenen, die prägend für einen Film wurden. Die Statisten, die in mancher solcher Szenen auftreten, bleiben oft ohne Erwähnung im Abspann, aber sie leben fort, wann immer man über den Film spricht.

So zum Beispiel der Arzt im 2. Akt von Sergei Eisensteins "Panzerkreuzer Potemkin". Ein kleiner, spitzbärtiger Mann, der gerufen wird, als die Schiffsbesatzung sich über das schlechte Essen beschwert. Dem Arzt wird Fleisch hingehalten, dass er eingehend studiert; er nimmt dazu sogar seinen Zwicker ab und betrachtet das Fleisch, indem er den Zwicker als Lupe benutzt. Eisenstein zeigt dann, was der Arzt durch diese Lupe sieht: Hunderte von Maden, die auf dem Fleisch wimmeln. Die nächste Einstellung ist der Arzt, der sich den Zwicker wieder aufsetzt und verkündet, das Fleisch sei absolut einwandfrei.

Oder ich denke an Garry Owen. Nie gehört? Aber sicherlich haben Sie ihn schon gesehen. Zumindest, wenn Sie einige der Klassiker des Hollywood - Kinos kennen. Garry Owen hat in rund 200 Filmen mitgespielt, blieb aber meistens unerwähnt. Er spielte unter anderem in Filmen mit William Powell, James Stewart, Gary Cooper, Humphrey Bogart, Stan Laurel und Oliver Hardy. Einige Male war er Polizist, so etwa in Hitchcocks "Berüchtigt", mal Reporter oder der Mann hinter dem Schalter, aber überdurchschnittlich oft Taxifahrer.

Und als Taxifahrer bleibt er auch unvergessen. Seine Paraderolle hatte er nämlich in Frank Capras Film "Arsen und Spitzenhäubchen" aus dem Jahre 1944. Stundenlang wartete er da vor dem Haus auf das frischvermählte Paar, das er zum Bahnhof bringen sollte. Wieder und wieder öffnet er den Wagenschlag und gibt den aktuellen Stand des Taxometers bekannt. Und dann erhält er, welch grosse Ehre für einen Statisten, das letzte Wort, ein bleibendes Filmzitat: "Ich bin kein Taxifahrer, ich bin eine Kaffeekanne!"

Garry Owen starb übrigens 1951 im Alter von nur 49 Jahren in Hollywood.

by Desmond J. Sheldrake





Mittwoch, 23. November 2016

Das Konzept Verunsicherung

Als ich mich mal mit einem Freund intensiv über Verschwörungstheorien ausgetauscht habe, wollte ich mir ein möglichst umfassendes Bild machen, was da alles so im Umlauf ist. Ich habe mir, verteilt über mehrere Wochen, viele Videos auf Youtube angeschaut. Ich wurde über Chemtrails unterrichtet, lernte Klimaskeptiker kennen, traf an allen Ecken und Enden auf Freimaurer, wurde belehrt über die Gefahren der Neuen Weltordnung (NWO) - und kam aus dem Kopfschütteln nicht mehr raus.

Seither schlägt mir Youtube immer mal wieder ähnliche Videos vor, die Algorithmen haben Fährte aufgenommen. Es kommt vor, dass ich auf diese Angebote eingehe. Einfach, um das Kopfschütteln nicht zu verlernen.

Man kann sicherlich über vieles diskutieren, guten Argumenten bin ich aufgeschlossen. Einen Abend mit ein paar Freunden, einer Flasche Wein und der zu erörternden Frage zu verbringen, wer denn nun Kennedy weswegen ermordet hat, kann durchaus reizvoll sein.  

Die Theorien aber, denen ich in den erwähnten Videos begegne, sind leider anderer Art. Argumente? Fehlanzeige. Plausibilität? Überprüfbarkeit? Nichts.

Aktuelles Beispiel gefällig? Da muss ich noch einmal die Präsidentschaftswahlen 2016 in den USA bemühen.
Es wurde auf einem Kanal im Vorfeld der Wahl unermüdlich betont, wie schrecklich es wäre, wenn Frau Clinton gewinnen würde. Sie stehe für die - da ist sie wieder - Neue Weltordnung, es wäre auch nur eine Frage der Zeit, bis sie den 3. Weltkrieg vom Zaun brechen würde, ausserdem drohe die Wirtschaft unter ihrer Ägide total zusammenzubrechen etc. etc. Lohnt sich gar nicht, hier alles aufzuzählen.

Jedenfalls war sich der Autor dieser Meldungen sicher, dass die Wahl Clintons auf alle Fälle verhindert werden muss. Man hat gejubelt, als kurz vor dem Wahl durch das FBI noch einmal Strafuntersuchungen gegen Hillary eingeleitet wurden. Und man war sich sicher, dass, sollte sie trotz allem die Wahl gewinnen, Betrug im Spiel sein müsse. Oder dass es einfach zeige, wie unbegrenzt die Macht der von irgendwelchen dunklen Mächten kontrollierten Medien sei.

Jetzt, 2 Wochen nach der Wahl, begegnete ich auf dem gleichen Kanal der verstörenden Meldung, dass möglicherweise der Wahlsieg Trumps ein genialer Schachzug der NWO gewesen sei, um eine Weltregierung zu etablieren.

Nach dieser Logik hätte das Clinton - Lager durch ihre enge Vernetzung an der Wall Street erfahren, dass eine neue Rezession ins Haus steht. Da ist es natürlich gut, einen Schuldigen zu haben, am besten den Hausherrn im Weissen Haus. Also hat man alles getan, dass Hillary auf jeden Fall verlieren muss. FBI - Untersuchungen, vielleicht sogar Wahlbetrug zugunsten Trumps...

Kopfschütteln. Heftiges Kopfschütteln!

Warum wird erst alles so rum erzählt, und dann plötzlich ist die ganze Sache gerade andersrum? Und dann fallen mir die verwendeten Formulierungen auf. "Könnte es nicht sein, dass..." -  "Haben Sie sich nicht auch schon gefragt, ob...." -  "Wie ist es denn möglich, dass..."

Da versucht man nicht aufzuklären, sondern zu verunsichern. Und wenn man noch den obligatorischen Baustein "Leider berichten die Mainstream - Medien darüber nicht" verwendet,
ist das grosse Verunsicherungsgebäude fertig.

Dienstag, 22. November 2016

"Die menschliche Dummheit ist international"

Ja, ich weiss, dass man mit Nazivergleichen sorgfältig sein muss. Und ich bin ja auch kein Freund davon. Nicht zuletzt deswegen, weil sie meist ziemlich krass daneben zielen. Da denke ich zum Beispiel an jene Amerikaner, die noch vor Kurzem Hillary Clinton als Reinkarnation Hitlers bezeichnet haben. Die Unsinnigkeit des Vergleiches stellte sich spätestens dann raus, als man realisierte, für wen die Ultrarechten ihre Stimme gegeben haben und wie beispielsweise der KKK den Sieg Trumps bejubelt hat. Oder aber, als ich heute auf ein verstörendes Video einer  "Alt Right"- Versammlung in Washington D.C. stiess.

Ich mag aber auch die ganzen Vergleiche in die andere Richtung nicht. Dass DJ Trump im Wahlkampf mit rassistischer Hetze nicht zurückhielt steht ausser Frage, dass er nun nach und nach - um es sanft auszudrücken - zweifelhaftes Personal in seinen Mitarbeiterstab beruft, bekräftigt den Rechtsruck und das ungute Gefühl. Und doch ist ein Vergleich mit dem Dritten Reich nicht legitim. Und wird es hoffentlich auch in Zukunft nie sein.

Aber wenn ich jetzt sage, dass ich heute unbändige Lust verspürte, Tucholsky zu lesen, ja noch mehr, dass ich Tucholsky lesen wollte, gerade eben weil ich verstörende Nachrichten aus den Staaten vorgesetzt bekam - ist das auch ein Nazivergleich?

"Die menschliche Dummheit ist international." So hielt es Kurt Tucholsky vor 85 Jahren fest. Recht hat er. Aber es kommt ja auch nicht auf Verstand oder Unverstand an, denn gerade im Zeitalter des aufstrebenden Populismus sind Emotionen wesentlicher als Fakten. Oder, um es wieder mit Tucholsky zu sagen: "Das Volk versteht das meiste falsch, aber es fühlt das meiste richtig."

Man kann die kommende Präsidentschaft Trumps auch lässig entspannt erwarten und sich auf ein abwechslungsreiches Programm freuen. Dass er seine zentralen Wahlversprechen (die paar wenigen, die er konkret formuliert hatte) nicht einhalten wird, hat sich schon früh abgezeichnet und war ohnehin klar.

Nein, es wird keine Mauer zu Mexiko gebaut, für die Mexiko folglich auch nicht zahlen muss.

Nein, er wird den Sumpf in Washington nicht trockenlegen, dazu hat er schon zum heutigen Zeitpunkt zu viele Kröten berufen, für die es nie genug sumpfig sein kann.

Nein, er wird Hillary Clinton nicht hinter Gitter bringen. Heute kam das endgültige Dementi, nachdem er schon in seiner Siegesrede nach der Wahlnacht mit einem ausdrücklichen Lob an Frau Clinton sich von der Sache distanziert hatte.

Nein, er wird auch nichts tun, was dem berühmten kleinen Mann existenziell hilft. Die Schere zwischen Arm und Reich wird weiter aufgehen.

Und nein, er wird auch nicht Obamacare rückgängig machen. Ebenfalls ein Wahlversprechen, von dem er sich kurz nach dem Sieg vorsichtig zu distanzieren begann.

Die Ära Trump ist doch eigentlich der Wunschtraum eines jeden Kabarettisten und Late Night Talker. Schon jetzt sind die Witze, die man über ihn macht, Legion. Und das einzige, was dem Spass ein Ende bereiten könnte, ist ein kommender Weltkrieg. Oder Genozid.

Aber ich möchte doch noch einmal Tucholsky bemühen: "Amüsement ist fein. Aber muss es denn grade Stumpfsinn sein?"



Montag, 21. November 2016

Starting out


Okay. Nach einem letzten klärenden Gespräch mit meiner Frau habe ich mich auf den Titel des Blogs festgelegt.

Tran­|fun|­zel, die

Substantiv, feminin
umgangssprachlich abwertend


sehr schwache, trübe Lampe
[langweiliger] langsamer, [geistig] schwerfälliger Mensch



Soweit der Duden. Nicht gerade schmeichelhaft, danke erstmal. Aber immerhin fand ich dann noch im Wörterbuch der Synonyme eine weitere Bedeutung:


Träumer


Damit kann ich leben.

Vielleicht bin ich ja auch etwas schwerfällig, oder vielleicht noch besser: Ich bin es geworden. Nämlich in all den Jahren, in denen ich mir zwar so meine Gedanken über dies und das machte, aber regelmässig daran scheiterte, meine Überlegungen oder gar gewonnenen Überzeugungen niederzuschreiben.

Und von wegen trübe Lampe: Alle Erkenntnis ist Stückwerk, das erinnere ich mich mal in der Bibel gelesen zu haben. Ist es da nicht realistisch, wenn ich davon ausgehe, dass ich allenfalls einen Teil eines Themas oder eines Zusammenhangs einigermassen deutlich erkennen kann, anderes aber im nicht richtig ausgeleuchteten verbleibt? Dass ich nicht den Anspruch erhebe, mit der Strahlkraft meines Intellektes jedes Zwielicht ausleuchten zu können? Vieles bleibt im Ungreifbaren, noch mehr ist mir gänzlich unbekannt, und auch da, wo ich schon etwas erkannt zu haben meine, gibt es immer noch mehr zu sehen und verstehen. Der Zweifel, diese schwankende Unsicherheit, ist mein treuer Begleiter. Er fordert mich heraus, hilft mir auszuloten, was ich als meine Erkenntnis begreife und stärkt damit doch nur meinen Glauben.

Was ich mit diesem Blog eigentlich will? So genau weiss ich das noch gar nicht. Aber bestimmt werde ich versuchen, was mich beschäftigt festzuhalten. Ob das politische oder gesellschaftliche Themen sind, ob es um Gott und die Welt geht, oder ob ich letztendlich nur meine Kochrezepte und Buchrezensionen hier sammle - ich weiss es noch nicht.

Tranfunzel eben...  😉