Die Stimmen, die geschichtsrevisionistische Ansichten und
Deutungen vortragen, scheinen sich in jüngster Zeit zu mehren und stossen in
einer Gesellschaft, in der Schlagworte wie „Mainstreammedien“ oder gar „Lügenpresse“
weite Verbreitung finden, auf grosse Resonanz. Per Definition geht es der
Geschichtsrevision darum, das gültige und durch die wissenschaftliche Forschung
fundierte Geschichtsbild zu hinterfragen, es zu erschüttern und, wenn möglich, dadurch
die Deutungshoheit über Vorgänge in der Vergangenheit zu gewinnen. Selbst wenn
diese letztendliche Umdeutung der Geschichte kaum je vollumfänglich erreicht
werden kann, so kann man doch feststellen, dass ganz egal, wie absurd eine
abweichende Ansicht auch sein mag, sie doch bei einzelnen zu verfangen mag. Irgend
etwas bleibt halt immer hängen…
Dabei kommen kaum neue Argumente zur Anwendung. Geschichtsrevisionisten
bedienen sich immer wieder gerne bei – in aller Regel längst widerlegten – Behauptungen
früherer Gesinnungsgenossen.
Es muss wohl nicht speziell erwähnt werden, welche Gruppen
diese Gedanken immer und immer wieder gerne ausgraben, und auch nicht, dass sie
in einer zunehmend populistischeren Öffentlichkeit gerne gehört werden.
Ganz speziell die Naziherrschaft in Deutschland ist ein sehr
ergiebiges Feld für revisionistische Theorien aller Art. Dabei geht es nicht nur
um das absolute Extrem, die Leugnung des
Holocausts, sondern auch um vielerlei andere Ansichten, die aber, bei
konsequenter Weiterverfolgung, oft in genau dieser Extremposition gipfeln.
Der Weg Deutschlands in den Krieg ist zum Beispiel ein sehr
beliebtes Thema dieser Gruppen. Es wird dabei behauptet, Hitler hätte
eigentlich den Frieden gewollt, wurde aber von seinen Nachbarn (oder, je nach Betonung
und Zielgruppe, von der Wall Street, vom „Weltjudentum“, von der britischen
Wirtschaft, vom Bolschewismus etc.) in den Krieg gedrängt.
Eine solche Behauptung, die gerade wieder neu aufgetischt
wird, ist die angebliche jüdische Kriegserklärung an Deutschland aus dem Jahre
1933.
Am 24. März 1933 brachte die britische Boulevardzeitung „Daily
Express“ einen Artikel mit dem irreführenden Titel „Judea declares war on
Germany“ („Judäa erklärt Deutschland den Krieg“). Im genannten Artikel wurde
von einem Boykottaufruf jüdischer Geschäftsleute gegen deutsche Waren und
Produkte berichtet. Der reisserische Titel stand im Gegensatz zum Text im Artikel
darunter. Darin wurde zwar von Boykottaufrufen, die eine Reaktion auf die
mittelalterliche Hetze gegen Juden in Deutschland waren, berichtet, es wurde aber auch ausdrücklich
darauf hingewiesen, dass erst in einer Sondersitzung am darauffolgenden Sonntag
von seiten der britischen Juden auf diese Boykottaufrufe eingegangen würde. In
dieser Sitzung am 27. März 1933 wurden diese schliesslich abgelehnt.
Man kann sich auch die Frage stellen, wie diese angebliche Kriegserklärung
von den Machthabern im 3. Reich betrachtet wurde.
Zunächst ist festzuhalten, dass eine Kriegserklärung von
einem Staatsorgan ausgesprochen wird, der über die zum Kriege notwendigen
Bevollmächtigung und auch über die entsprechenden Mittel verfügt. Beides trifft
im vorliegenden Fall nicht zu. Es gab zu der Zeit keine jüdische Regierung und
keinen jüdischen Staat.
In der Propaganda des 3. Reiches, in der dieser „Daily
Express“ – Artikel durchaus auftaucht, wird lediglich von „Greuelpropaganda“
oder „Antideutscher Hetze“ gesprochen. Das Regime im Deutschen Reich hat keine
Vorbereitungen für einen bevorstehenden Kriefgsfall getroffen, was ja auch
gänzlich lächerlich gewesen wäre.
Die nationalsozialistische Propaganda hat sich auf diesen
Artikel bezogen, als sie zum 1. April 1933 ihrerseits zum „Judenboykott“
aufgerufen hat. Dieser Bezug ist wohl nur vorgeschoben; der Boykottaufruf der
NSDAP war keine Abwehrmassnahme und keine Reaktion auf eine britische
Schlagzeile, sondern nur ein weiterer Schritt zur Diskriminierung deutscher
Juden. Diese hatten übrigens schon in den 20er Jahren mit der Erstarkung der
nationalsozialisten Bewegung angefangen und lässt sich aus dem im Jahre 1920
veröffentlichten 25-Punkte-Programm der NSDAP herleiten.
Übrigens wurde der deutsche Boykott jüdischer Geschäfte am
4. April offiziell für beendet erklärt, nachdem er schon am Abend des 1. April wegen
der Passivität der Deutschen eingestellt wurde.