Mittwoch, 21. Dezember 2016

Liveticker?

Ich bin erklärtermassen ein News Junkie. Wenigstens ein Browserfenster meines Computers ist immer auf einer Nachrichtenseite aufgeschlagen, und mehrmals täglich, wenn ich mal kurz am Schreibtisch vorbeikomme, aktualisiere ich das Fenster und überfliege die Nachrichten.

Wenn, wie ganz aktuell, mit dem Attentat auf den Weihnachtsmarkt in Berlin ein Ereignis vorliegt, das unbestritten alle betroffen macht, findet man in Kürze auch einen Liveticker, der uns über die neuesten Entwicklungen auf dem Laufenden hält. So weit, so gut.

Wobei… Wenn ich dann die Informationen überfliege, die sich im Verlauf der letzten 36 Stunden in besagtem Liveticker angesammelt haben, bin ich mir nicht mehr so sicher, wie gut das ganze ist.

Ja, ich bin interessiert zu erfahren, was es an Neuigkeiten gibt. Aber oftmals gibt es nach der ersten Berichterstattung eines Vorkommnisses längere Zeit keine nennenswerten Entwicklungen mehr. Doch der Liveticker ist bereits installiert, und er will gefüttert werden. Ein Liveticker, in dem nichts Neues zu lesen ist, hat keinen Wert, also muss einfach wenigstens einmal pro Stunde, wenn es geht auch etwas häufiger, ein neuer Post rausgehauen werden.

Wo anfangs sachlich (wenn auch mitunter übereilt) berichtet wird, finden bald alle möglichen Spekulationen Platz. „Spur führt zu….“ Ist dann da zu lesen, oder „Der mutmassliche  Täter soll schon früher xy gemacht haben“. Wir erfahren, dass ein neuer Verdächtiger verhört wird und lesen wenig später, dass offenbar nichts gegen ihn vorliegt.  Zwischendurch die eine oder andere Stellungnahme eines Politikers, gefolgt von der Stellungnahme eines Konkurrenten im politischen Geschäft, dann wieder eine kurze Information, welchen Ansatz zur Ergreifung des Täters die Polizei als nächstes plant. Es sind kleine Brocken Information, die einem nicht wirklich Wichtiges mitteilen, aber das Gefühl geben, mit dabei zu sein. Und die, so mein Verdacht, schnell mal die Stammtischgespräche befeuern.


Ich habe mir angewöhnt, den Liveticker zu ignorieren. Stattdessen warte ich, bis sich eine Nachricht so stark verfestigt hat, dass sie im üblichen Nachrichtenteil der Onlinemedien erscheint – in der Regel nicht mehr nur als Dreizeiler, der im Konjunktiv verfasst ist.  

Sonntag, 18. Dezember 2016

SCHOCK! Tierschänder und vergiftete CDs!

Seit ich bei Facebook bin habe ich nun endlich auch vermehrt Anschluss an die Schreckensmeldungen des Alltags. Die Kampagnen aus dem amerikanischen Wahlkampf verebben langsam, wobei die Nachlaufzeit der Meldungen in den sozialen Medien schon bemerkenswert ist. Aber von Aufatmen kann keine Rede sein.

Um mal zwei brandaktuelle, schockierende Nachrichten aufzugreifen, die mich diese Woche erreicht haben: Da gibt es zum ersten die Geschichte eines Tierquälers, der einen Hund erschossen hat und anschliessend mit dem toten Tier posiert, zum zweiten die eindringliche Warnung, dass Muslime CDs mit Korantexten und islamischer Musik in Briefkästen verteilen, wobei die Sendung vergiftet sein soll.

Manchmal frage ich mich, warum sich Facebook mit c schreibt.

Schockierende Berichte, in denen Tiere vorkommen, verbreiten sich besonders gut. Die Empörung ist vorprogrammiert, die Weiterverteilung sicher. Wer prüft da schon, was es mit der Sache wirklich auf sich hat?

Zugegeben, das Beispiel mit dem getöteten Hund lässt sich nicht so schnell und unzweifelhaft aufklären wie manche andere Geschichte. Es gibt im angehängten Text keine Quelle, der einzige dort auffindbare Link führt auf eine 404-error Seite. Gibt man aber die wenigen in der Nachricht gebotenen Details (Ort, wo der Vorfall stattgefunden haben soll, das Stichwort „getöteter Hund“ oder wahlweise auch „killed dog“ in eine Suchmaschine ein, stösst man auf weitere Infos.

Weitere Infos? Nun ja, eigentlich nicht. Man stösst auf 2 weitere Seiten, diesmal in englischer Sprache, die die gleiche Geschichte erzählen. Das Erscheinungsbild der Seiten verrät schon mal, dass man es eher mit einem Boulevardblatt zu tun hat, und ein paar Klicks später bestätigt sich dieser erste Eindruck. Auch hier keine Angaben von Quellen. Aber, interessant: Der Artikel erschien dort 11 Monate früher.

Noch mal der Check auf der deutschsprachigen Seite, die in meinem Facebook Feed aufgetaucht ist. Nein, hier ist nicht ersichtlich, dass es sich um eine alte Geschichte handeln soll. Stattdessen erhält man die Möglichkeit, eine Petition zu unterschreiben.

Solange ich nicht weiss, ob eine Geschichte stimmt, unterzeichne ich schon mal gar nichts!

Die zweite Geschichte, die mit den vergifteten CDs, ist ein Paradebeispiel für Panikmache. Im Moment sind es, tragischerweise, verstärkt „die Fremden“, denen alle Schandtaten zugetraut werden.
Erschreckend ist eigentlich, wie leichtfertig solche Inhalte geteilt werden. Man traut den Ausländern, den Flüchtlingen oder den Andersgläubigen einfach alles zu. Und eine Aufklärung wäre so simpel: Einfach mal 2, 3 Stichworte bei Google eingeben, also im vorliegenden Fall „vergiftete CD“, und man stösst auf dutzenderweise Seiten, die diese vermeintliche Nachricht als Lüge entlarven.

Viele Menschen trauen den grossen Medien nicht mehr und verlassen sich lieber auf das, was ihnen von Freunden erzählt wird. Nun ist das ja nichts Neues. Wer kennt nicht die Geschichte von der Spinne in der Yuccapalme, die man von einem Freund gehört hat, der denjenigen kennt, bei dem ein Sonderkommando der Schädlingsbekämpfung eingefallen ist…

Man nennt solche Geschichten moderne Sagen oder auch Hoax. Ja, ich weiss, ein Hoax unterscheidet sich von einer modernen Sage, aber ich ziehe die Begriffe hier der Einfachheit halber zusammen.
Diese Geschichten geistern wohl schon so lange rum, seit Menschen sich Geschichten erzählen, sie sind also keine Erfindung des Internetzeitalters. Was sich aber verändert hat, ist die Geschwindigkeit, mit der sich diese Sagen verbreiten können – und damit im Extremfall auch die Geschwindigkeit, mit der Lügen ganze Volksgruppen diffamieren, ausgrenzen und zum Feindbild machen können. Dabei bringt das Internet zusammen mit dem Problem auch die Lösung: Quellen zu recherchieren ist oft sehr einfach, 

Lügen lassen sich schnell entlarven und stoppen – wenn man es denn will.


Mittwoch, 7. Dezember 2016

Ein Sultan im Vatikan

Es klingt fast ein bisschen wie die konsequente Weiterführung der momentan beliebten populistischen Schreckensfantasien, wonach Europa islamisch unterwandert wird, doch es handelt sich hier nicht um Fiktion oder Satire, sondern um eine kleine, aber bemerkenswerte Episode der europäischen Geschichte.

Cem war der dritte und jüngste Sohn von Mehmed II. Der Vater hatte bekanntermassen am 29. Mai 1453 Konstantinopel erobert und damit das Byzantinische Reich beendet.

Als Mehmed im Jahre 1481 starb, entbrannte zwischen seinen Söhnen Bayezid und Cem ein Kampf um die Thronfolge. Cem hatte vom Tod seines Vaters erst erfahren, als dieser schon beigesetzt war, und als er schliesslich aus Konya im Zentrum Anatoliens nach Istanbul gelangte, hatte sich dort sein Bruder schon das Schwert des Dynastiegründers und Vorfahren Osman I. umgegürtet, was einer Krönung gleichkam.

Cem sammelte Getreue um sich und eroberte die ehemalige Hauptstadt Bursa, etwa 90 km südlich von Istanbul gelegen. In der Moschee der Stadt wurde er am 2. Juni 1481 zum Sultan ausgerufen, und er begann auch sofort, Silbermünzen mit der Prägung „Sultan Cem“ herzustellen. Sein Plan war wohl, sich mit seinem Bruder auf eine Reichsteilung zu einigen. Bayezid sollte von Istanbul aus die europäischen Provinzen beherrschen, Cem seinerseits Sultan über Anatolien sein.

Für den älteren Bruder kam eine Reichsteilung nicht in Frage. Er sammelte seinerseits Truppen und besiegte Cem am 22. Juli 1481 bei  Yenişehir etwa 50 km östlich von Bursa.

Für Cem begann eine wohl recht abenteuerliche Flucht, die ihn über Anatolien und Palästina nach Kairo führte. Dort fand er beim mamlukischen Sultan, dem mächtigsten Gegenspieler der Osmanen, Aufnahme und in der Folge auch Unterstützung, um in einem neuen Anlauf den Thron erneut zu erkämpfen.

Im März 1482 zog Cem, unterstützt von alten Getreuen, aber auch einigen Überläufern aus den Reihen Bayezids und einer kleineren Unterstützungstruppe der Mamluken, erneut nach Anatolien. Doch der ältere Bruder, der wohl durch Spionage recht gut über die Schritte Cems informiert war, besiegte ihn sehr schnell zum zweiten Mal.

Die nun folgende Flucht führte Cem zunächst nach Rhodos, das damals noch dem Johanniterorden unterstand. Der Grossmeister des Ordens, Pierre D’Aubusson, gewährte ihm Asyl, liess ihn aber bald nach Frankreich bringen, wo er in verschiedenen Burgen gefangen gehalten wurde. Der Osmane wurde als kostbares Gut für finanzielle und diplomatische Berechnungen gehalten. D’Aubusson akzeptierte eine jährliche Zahlung von 35’000 Golddukaten (nach anderen Quellen 45’000 Golddukaten) aus der Hand des Sultans Bayezid II mit der Auflage, ihn daran zu hindern, unter den europäischen Mächten nach Verbündeten für einen weitern Angriff auf den osmanischen Thron zu suchen. Ausserdem wurde der Herrscher am Bosporus erpresst, mit Europa dauerhaften Frieden zu halten, da ansonsten Cem als Anführer eines „Kreuzzuges“ gegen den Bruder aufgebaut würde.
Die Herrscher Europas verhandelten untereinander über das Recht, den Gefangenen zu behalten, da sie alle versuchten, die türkischen Gelder auf ihre Seite zu ziehen. Auch Papst Innozenz VIII spielte in den Ränken eifrig mit, und schliesslich konnte er die Geisel nach Rom bringen. Zukünftig erhielt er die Dukaten aus Istanbul. Als Gegenleistung an D’Aubusson wurde diesem die Kardinalswürde verliehen.

Den feierlichen Einzug Cems in Rom beschreibt der deutsche Historiker Ferdinand Gregorovius. Der Sohn des Eroberers von Konstantinopel ritt, umgeben von einigen Moslems, die ihn in sein Exil begleitet hatten, dem Oberpriester der Christenheit entgegen. Zahllose Menschenscharen säumten seinen Weg, und viele Edle zu Pferde grüssten ihn, doch Cem würdigte sie keines Blickes.

Am folgenden Tag wurde er vom Papst empfangen. Cem wurde hier wie ein christlicher Fürst behandelt, doch der Exilant vergass keinen Augenblick, dass er ein Bekenner des Propheten und der Sohn von Mehmed II war. Er verachtete die Anordnung des Zeremonienmeisters, sich vor dem Papst niederzuwerfen; stattdessen schritt er ruhig auf den Stellvertreter Christi zu und hauchte ihm flüchtig einen Kuss auf die Schulter.

Cem lebte in der Folge in, wie Gregorovius anmerkt, öden Gemächern, bewacht von einigen Ordensleuten aus Rhodos und stets in Furcht vor Auslieferung oder Gift. Zuweilen begab er sich auf die Jagd, vertrieb sich die Zeit mit Musik und Gastmählern.

Bayezid II indessen setzte alles daran, seinen Bruder endgültig zu beseitigen. Hatte er zunächst um eine Auslieferung verhandelt – in einer ersten Etappe des Exils bot er dem französischen König vertraglich Jerusalem an, dessen Eroberung er gerade betrieb – suchte er mittlerweile auch nach willfährigen Dienern, die einen schnellen Tod des Rivalen herbeiführen könnten.

Eine Begebenheit bedarf noch der besonderen Erwähnung. Ende 1490 traf eine türkische Delegation in Rom ein, die dem Papst 120’000 Dukaten für die Beherbung Cems, viele wertvolle Geschenke und das Versprechen eines ewigen Friedens brachten. Ein Minister dieser Delegation verlangte den Prinzen zu sehen und wurde von diesem wie von einem regierenden Sultan, sitzend auf dem Thron, empfangen. Er erhielt einen Brief von seinem Bruder, der aber erst entgegengenommen wurde, nachdem ihn der Minister innen und aussen abgeleckt hatte – wohl um die Befürchtung, es könnte Gift in irgendeiner Form im Spiel sein, zu zerstreuen. Die türkischen Gäste wurden in der Folge durch Cem im Palast der Päpste mit einem grosse Gastmahl bewirtet, was bei vielen Römern für Unmut sorgte, hielten da doch der Papst und ein Sultan gemeinsam Hof.

Papst Innozenz VIII starb am 25. Juli 1492, sein Nachfolger wurde Rodrigo Borgia als Alexander VI. Dieser neue Papst, bekanntermassen Geldgeschäften jeglicher Art kaum weniger zugetan als sein Vorgänger, soll schon bald nach der Übernahme des Pontifikats von Bayezid II aus Istanbul ein neuerliches Angebot zur Ermodung Cems erhalten haben.

Indes hatte der Papst bald andere Probleme: Der französische König Karl VIII zog nach Italien, eroberte Florenz und marschierte schliesslich in Rom ein. Ziel des Kriegzuges war Neapel, auf dessen Thron der französische König Anspruch erhob. Im Rahmen der diplomatischen Bemühungen des Papstes, seine eigenen politischen Pläne zu retten, überliess er schliesslich die türkische Geisel dem französischen König. Cem und seinen Nachfahren wurde ein neapolitanischer Fürstentitel verliehen, das Haus von Said, welches noch bis ca. 1600 Bestand hatte.

Karl VIII nahm Cem mit sich auf seinem Weg nach Neapel. Die Stadt wurde am 22. Februar 1495 eingenommen und Karl als König Neapels eingesetzt. Drei Tage später traf Cem in Neapel ein. Er war schon auf der Reise erkrankt und starb am 25. Februar 1495 in Neapel. Sofort gab es Gerüchte, man habe ihm auf Befehl des Papstes Gift in Form eines weissen Pulvers gegeben.

Für den französischen König, der dem Plan nachhing, einen neuerlichen Kreuzzug nach Kleinasien zu unternehmen und bei dieser Gelegenheit Cem als Verbündeten anstelle seines Bruders auf den Thron im Osmanischen Reich zu bringen, war der Tod ein schwerer Schlag. Die Rückeroberung des Bosporusses und Wiederauferstehung Byzanz’ konnte nicht stattfinden.


Und nur 34 Jahre nach dem Tod Cems stand der Enkel seines Bruders, Süleiman der Prächtige, vor den Toren Wiens.

Montag, 28. November 2016

Die angebliche jüdische Kriegserklärung (1933)

Die Stimmen, die geschichtsrevisionistische Ansichten und Deutungen vortragen, scheinen sich in jüngster Zeit zu mehren und stossen in einer Gesellschaft, in der Schlagworte wie „Mainstreammedien“ oder gar „Lügenpresse“ weite Verbreitung finden, auf grosse Resonanz. Per Definition geht es der Geschichtsrevision darum, das gültige und durch die wissenschaftliche Forschung fundierte Geschichtsbild zu hinterfragen, es zu erschüttern und, wenn möglich, dadurch die Deutungshoheit über Vorgänge in der Vergangenheit zu gewinnen. Selbst wenn diese letztendliche Umdeutung der Geschichte kaum je vollumfänglich erreicht werden kann, so kann man doch feststellen, dass ganz egal, wie absurd eine abweichende Ansicht auch sein mag, sie doch bei einzelnen zu verfangen mag. Irgend etwas bleibt halt immer hängen…

Dabei kommen kaum neue Argumente zur Anwendung. Geschichtsrevisionisten bedienen sich immer wieder gerne bei – in aller Regel längst widerlegten – Behauptungen früherer Gesinnungsgenossen.

Es muss wohl nicht speziell erwähnt werden, welche Gruppen diese Gedanken immer und immer wieder gerne ausgraben, und auch nicht, dass sie in einer zunehmend populistischeren Öffentlichkeit gerne gehört werden.

Ganz speziell die Naziherrschaft in Deutschland ist ein sehr ergiebiges Feld für revisionistische Theorien aller Art. Dabei geht es nicht nur um das absolute  Extrem, die Leugnung des Holocausts, sondern auch um vielerlei andere Ansichten, die aber, bei konsequenter Weiterverfolgung, oft in genau dieser Extremposition gipfeln.

Der Weg Deutschlands in den Krieg ist zum Beispiel ein sehr beliebtes Thema dieser Gruppen. Es wird dabei behauptet, Hitler hätte eigentlich den Frieden gewollt, wurde aber von seinen Nachbarn (oder, je nach Betonung und Zielgruppe, von der Wall Street, vom „Weltjudentum“, von der britischen Wirtschaft, vom Bolschewismus etc.) in den Krieg gedrängt.

Eine solche Behauptung, die gerade wieder neu aufgetischt wird, ist die angebliche jüdische Kriegserklärung an Deutschland aus dem Jahre 1933. 

Am 24. März 1933 brachte die britische Boulevardzeitung „Daily Express“ einen Artikel mit dem irreführenden Titel „Judea declares war on Germany“ („Judäa erklärt Deutschland den Krieg“). Im genannten Artikel wurde von einem Boykottaufruf jüdischer Geschäftsleute gegen deutsche Waren und Produkte berichtet. Der reisserische Titel stand im Gegensatz zum Text im Artikel darunter. Darin wurde zwar von Boykottaufrufen, die eine Reaktion auf die mittelalterliche Hetze gegen Juden in Deutschland waren,  berichtet, es wurde aber auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass erst in einer Sondersitzung am darauffolgenden Sonntag von seiten der britischen Juden auf diese Boykottaufrufe eingegangen würde. In dieser Sitzung am 27. März 1933 wurden diese schliesslich abgelehnt.

Der Text in der Zeitung war also keine Kriegserklärung, er war noch nicht einmal der Bericht über eine Kriegserklärung.

Man kann sich auch die Frage stellen, wie diese angebliche Kriegserklärung von den Machthabern im 3. Reich betrachtet wurde.

Zunächst ist festzuhalten, dass eine Kriegserklärung von einem Staatsorgan ausgesprochen wird, der über die zum Kriege notwendigen Bevollmächtigung und auch über die entsprechenden Mittel verfügt. Beides trifft im vorliegenden Fall nicht zu. Es gab zu der Zeit keine jüdische Regierung und keinen jüdischen Staat.

In der Propaganda des 3. Reiches, in der dieser „Daily Express“ – Artikel durchaus auftaucht, wird lediglich von „Greuelpropaganda“ oder „Antideutscher Hetze“ gesprochen. Das Regime im Deutschen Reich hat keine Vorbereitungen für einen bevorstehenden Kriefgsfall getroffen, was ja auch gänzlich lächerlich gewesen wäre.

Die nationalsozialistische Propaganda hat sich auf diesen Artikel bezogen, als sie zum 1. April 1933 ihrerseits zum „Judenboykott“ aufgerufen hat. Dieser Bezug ist wohl nur vorgeschoben; der Boykottaufruf der NSDAP war keine Abwehrmassnahme und keine Reaktion auf eine britische Schlagzeile, sondern nur ein weiterer Schritt zur Diskriminierung deutscher Juden. Diese hatten übrigens schon in den 20er Jahren mit der Erstarkung der nationalsozialisten Bewegung angefangen und lässt sich aus dem im Jahre 1920 veröffentlichten 25-Punkte-Programm der NSDAP herleiten.


Übrigens wurde der deutsche Boykott jüdischer Geschäfte am 4. April offiziell für beendet erklärt, nachdem er schon am Abend des 1. April wegen der Passivität der Deutschen eingestellt wurde. 

Donnerstag, 24. November 2016

Statisten

Bei meiner täglichen Lektüre des "Hollywood Reporters" wurde ich darüber informiert, dass Peter Sumner gestorben ist. Des weiteren erfuhr ich, dass er ein Statist im ersten Star Wars Film von 1977 war. Offenbar gab es Fans, die ihn für die 2 Sätze, die er in diesem Film sprach, ehe er von Chewbacca getötet wurde, ein Leben lang verehrten.

Was mich wieder mal nachdenken liess über die Nebenrollen und ihre Darsteller. Oder gar über die Statisten, die kaum Erwähnung finden, aber Filmgeschichte geschrieben haben.

Oft sind es die kleinen Szenen, die prägend für einen Film wurden. Die Statisten, die in mancher solcher Szenen auftreten, bleiben oft ohne Erwähnung im Abspann, aber sie leben fort, wann immer man über den Film spricht.

So zum Beispiel der Arzt im 2. Akt von Sergei Eisensteins "Panzerkreuzer Potemkin". Ein kleiner, spitzbärtiger Mann, der gerufen wird, als die Schiffsbesatzung sich über das schlechte Essen beschwert. Dem Arzt wird Fleisch hingehalten, dass er eingehend studiert; er nimmt dazu sogar seinen Zwicker ab und betrachtet das Fleisch, indem er den Zwicker als Lupe benutzt. Eisenstein zeigt dann, was der Arzt durch diese Lupe sieht: Hunderte von Maden, die auf dem Fleisch wimmeln. Die nächste Einstellung ist der Arzt, der sich den Zwicker wieder aufsetzt und verkündet, das Fleisch sei absolut einwandfrei.

Oder ich denke an Garry Owen. Nie gehört? Aber sicherlich haben Sie ihn schon gesehen. Zumindest, wenn Sie einige der Klassiker des Hollywood - Kinos kennen. Garry Owen hat in rund 200 Filmen mitgespielt, blieb aber meistens unerwähnt. Er spielte unter anderem in Filmen mit William Powell, James Stewart, Gary Cooper, Humphrey Bogart, Stan Laurel und Oliver Hardy. Einige Male war er Polizist, so etwa in Hitchcocks "Berüchtigt", mal Reporter oder der Mann hinter dem Schalter, aber überdurchschnittlich oft Taxifahrer.

Und als Taxifahrer bleibt er auch unvergessen. Seine Paraderolle hatte er nämlich in Frank Capras Film "Arsen und Spitzenhäubchen" aus dem Jahre 1944. Stundenlang wartete er da vor dem Haus auf das frischvermählte Paar, das er zum Bahnhof bringen sollte. Wieder und wieder öffnet er den Wagenschlag und gibt den aktuellen Stand des Taxometers bekannt. Und dann erhält er, welch grosse Ehre für einen Statisten, das letzte Wort, ein bleibendes Filmzitat: "Ich bin kein Taxifahrer, ich bin eine Kaffeekanne!"

Garry Owen starb übrigens 1951 im Alter von nur 49 Jahren in Hollywood.

by Desmond J. Sheldrake





Mittwoch, 23. November 2016

Das Konzept Verunsicherung

Als ich mich mal mit einem Freund intensiv über Verschwörungstheorien ausgetauscht habe, wollte ich mir ein möglichst umfassendes Bild machen, was da alles so im Umlauf ist. Ich habe mir, verteilt über mehrere Wochen, viele Videos auf Youtube angeschaut. Ich wurde über Chemtrails unterrichtet, lernte Klimaskeptiker kennen, traf an allen Ecken und Enden auf Freimaurer, wurde belehrt über die Gefahren der Neuen Weltordnung (NWO) - und kam aus dem Kopfschütteln nicht mehr raus.

Seither schlägt mir Youtube immer mal wieder ähnliche Videos vor, die Algorithmen haben Fährte aufgenommen. Es kommt vor, dass ich auf diese Angebote eingehe. Einfach, um das Kopfschütteln nicht zu verlernen.

Man kann sicherlich über vieles diskutieren, guten Argumenten bin ich aufgeschlossen. Einen Abend mit ein paar Freunden, einer Flasche Wein und der zu erörternden Frage zu verbringen, wer denn nun Kennedy weswegen ermordet hat, kann durchaus reizvoll sein.  

Die Theorien aber, denen ich in den erwähnten Videos begegne, sind leider anderer Art. Argumente? Fehlanzeige. Plausibilität? Überprüfbarkeit? Nichts.

Aktuelles Beispiel gefällig? Da muss ich noch einmal die Präsidentschaftswahlen 2016 in den USA bemühen.
Es wurde auf einem Kanal im Vorfeld der Wahl unermüdlich betont, wie schrecklich es wäre, wenn Frau Clinton gewinnen würde. Sie stehe für die - da ist sie wieder - Neue Weltordnung, es wäre auch nur eine Frage der Zeit, bis sie den 3. Weltkrieg vom Zaun brechen würde, ausserdem drohe die Wirtschaft unter ihrer Ägide total zusammenzubrechen etc. etc. Lohnt sich gar nicht, hier alles aufzuzählen.

Jedenfalls war sich der Autor dieser Meldungen sicher, dass die Wahl Clintons auf alle Fälle verhindert werden muss. Man hat gejubelt, als kurz vor dem Wahl durch das FBI noch einmal Strafuntersuchungen gegen Hillary eingeleitet wurden. Und man war sich sicher, dass, sollte sie trotz allem die Wahl gewinnen, Betrug im Spiel sein müsse. Oder dass es einfach zeige, wie unbegrenzt die Macht der von irgendwelchen dunklen Mächten kontrollierten Medien sei.

Jetzt, 2 Wochen nach der Wahl, begegnete ich auf dem gleichen Kanal der verstörenden Meldung, dass möglicherweise der Wahlsieg Trumps ein genialer Schachzug der NWO gewesen sei, um eine Weltregierung zu etablieren.

Nach dieser Logik hätte das Clinton - Lager durch ihre enge Vernetzung an der Wall Street erfahren, dass eine neue Rezession ins Haus steht. Da ist es natürlich gut, einen Schuldigen zu haben, am besten den Hausherrn im Weissen Haus. Also hat man alles getan, dass Hillary auf jeden Fall verlieren muss. FBI - Untersuchungen, vielleicht sogar Wahlbetrug zugunsten Trumps...

Kopfschütteln. Heftiges Kopfschütteln!

Warum wird erst alles so rum erzählt, und dann plötzlich ist die ganze Sache gerade andersrum? Und dann fallen mir die verwendeten Formulierungen auf. "Könnte es nicht sein, dass..." -  "Haben Sie sich nicht auch schon gefragt, ob...." -  "Wie ist es denn möglich, dass..."

Da versucht man nicht aufzuklären, sondern zu verunsichern. Und wenn man noch den obligatorischen Baustein "Leider berichten die Mainstream - Medien darüber nicht" verwendet,
ist das grosse Verunsicherungsgebäude fertig.

Dienstag, 22. November 2016

"Die menschliche Dummheit ist international"

Ja, ich weiss, dass man mit Nazivergleichen sorgfältig sein muss. Und ich bin ja auch kein Freund davon. Nicht zuletzt deswegen, weil sie meist ziemlich krass daneben zielen. Da denke ich zum Beispiel an jene Amerikaner, die noch vor Kurzem Hillary Clinton als Reinkarnation Hitlers bezeichnet haben. Die Unsinnigkeit des Vergleiches stellte sich spätestens dann raus, als man realisierte, für wen die Ultrarechten ihre Stimme gegeben haben und wie beispielsweise der KKK den Sieg Trumps bejubelt hat. Oder aber, als ich heute auf ein verstörendes Video einer  "Alt Right"- Versammlung in Washington D.C. stiess.

Ich mag aber auch die ganzen Vergleiche in die andere Richtung nicht. Dass DJ Trump im Wahlkampf mit rassistischer Hetze nicht zurückhielt steht ausser Frage, dass er nun nach und nach - um es sanft auszudrücken - zweifelhaftes Personal in seinen Mitarbeiterstab beruft, bekräftigt den Rechtsruck und das ungute Gefühl. Und doch ist ein Vergleich mit dem Dritten Reich nicht legitim. Und wird es hoffentlich auch in Zukunft nie sein.

Aber wenn ich jetzt sage, dass ich heute unbändige Lust verspürte, Tucholsky zu lesen, ja noch mehr, dass ich Tucholsky lesen wollte, gerade eben weil ich verstörende Nachrichten aus den Staaten vorgesetzt bekam - ist das auch ein Nazivergleich?

"Die menschliche Dummheit ist international." So hielt es Kurt Tucholsky vor 85 Jahren fest. Recht hat er. Aber es kommt ja auch nicht auf Verstand oder Unverstand an, denn gerade im Zeitalter des aufstrebenden Populismus sind Emotionen wesentlicher als Fakten. Oder, um es wieder mit Tucholsky zu sagen: "Das Volk versteht das meiste falsch, aber es fühlt das meiste richtig."

Man kann die kommende Präsidentschaft Trumps auch lässig entspannt erwarten und sich auf ein abwechslungsreiches Programm freuen. Dass er seine zentralen Wahlversprechen (die paar wenigen, die er konkret formuliert hatte) nicht einhalten wird, hat sich schon früh abgezeichnet und war ohnehin klar.

Nein, es wird keine Mauer zu Mexiko gebaut, für die Mexiko folglich auch nicht zahlen muss.

Nein, er wird den Sumpf in Washington nicht trockenlegen, dazu hat er schon zum heutigen Zeitpunkt zu viele Kröten berufen, für die es nie genug sumpfig sein kann.

Nein, er wird Hillary Clinton nicht hinter Gitter bringen. Heute kam das endgültige Dementi, nachdem er schon in seiner Siegesrede nach der Wahlnacht mit einem ausdrücklichen Lob an Frau Clinton sich von der Sache distanziert hatte.

Nein, er wird auch nichts tun, was dem berühmten kleinen Mann existenziell hilft. Die Schere zwischen Arm und Reich wird weiter aufgehen.

Und nein, er wird auch nicht Obamacare rückgängig machen. Ebenfalls ein Wahlversprechen, von dem er sich kurz nach dem Sieg vorsichtig zu distanzieren begann.

Die Ära Trump ist doch eigentlich der Wunschtraum eines jeden Kabarettisten und Late Night Talker. Schon jetzt sind die Witze, die man über ihn macht, Legion. Und das einzige, was dem Spass ein Ende bereiten könnte, ist ein kommender Weltkrieg. Oder Genozid.

Aber ich möchte doch noch einmal Tucholsky bemühen: "Amüsement ist fein. Aber muss es denn grade Stumpfsinn sein?"



Montag, 21. November 2016

Starting out


Okay. Nach einem letzten klärenden Gespräch mit meiner Frau habe ich mich auf den Titel des Blogs festgelegt.

Tran­|fun|­zel, die

Substantiv, feminin
umgangssprachlich abwertend


sehr schwache, trübe Lampe
[langweiliger] langsamer, [geistig] schwerfälliger Mensch



Soweit der Duden. Nicht gerade schmeichelhaft, danke erstmal. Aber immerhin fand ich dann noch im Wörterbuch der Synonyme eine weitere Bedeutung:


Träumer


Damit kann ich leben.

Vielleicht bin ich ja auch etwas schwerfällig, oder vielleicht noch besser: Ich bin es geworden. Nämlich in all den Jahren, in denen ich mir zwar so meine Gedanken über dies und das machte, aber regelmässig daran scheiterte, meine Überlegungen oder gar gewonnenen Überzeugungen niederzuschreiben.

Und von wegen trübe Lampe: Alle Erkenntnis ist Stückwerk, das erinnere ich mich mal in der Bibel gelesen zu haben. Ist es da nicht realistisch, wenn ich davon ausgehe, dass ich allenfalls einen Teil eines Themas oder eines Zusammenhangs einigermassen deutlich erkennen kann, anderes aber im nicht richtig ausgeleuchteten verbleibt? Dass ich nicht den Anspruch erhebe, mit der Strahlkraft meines Intellektes jedes Zwielicht ausleuchten zu können? Vieles bleibt im Ungreifbaren, noch mehr ist mir gänzlich unbekannt, und auch da, wo ich schon etwas erkannt zu haben meine, gibt es immer noch mehr zu sehen und verstehen. Der Zweifel, diese schwankende Unsicherheit, ist mein treuer Begleiter. Er fordert mich heraus, hilft mir auszuloten, was ich als meine Erkenntnis begreife und stärkt damit doch nur meinen Glauben.

Was ich mit diesem Blog eigentlich will? So genau weiss ich das noch gar nicht. Aber bestimmt werde ich versuchen, was mich beschäftigt festzuhalten. Ob das politische oder gesellschaftliche Themen sind, ob es um Gott und die Welt geht, oder ob ich letztendlich nur meine Kochrezepte und Buchrezensionen hier sammle - ich weiss es noch nicht.

Tranfunzel eben...  😉